KohlenstoffblaseSchweizer Finanzplatz befeuert den Klimawandel
Schweizer Versicherungen und Pensionskassen treiben mit ihren Investitionen die globale Erwärmung voran – um bis zu sechs Grad. Aktivisten wollen das ändern.
An der Pariser Klimakonferenz im letzten Jahr beschlossen die UNO-Mitgliedsstaaten, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Ein hehres Ziel, für dessen Umsetzung auch die internationalen Finanzströme von grosser Bedeutung sind: Denn in welchem Ausmass grosse Anleger wie Banken, Versicherungen oder Pensionskassen ihre Kundengelder in Geschäftszweige wie die Öl-, Gas- oder Kohleförderung investieren, hat einen Einfluss auf den CO2-Ausstoss und den Klimawandel.
Welche Rolle hierbei der Schweizer Finanzplatz spielt, zeigt die Studie «Kohlenstoffrisiken für den Finanzplatz Schweiz». Fazit: Mit seinen Investitionen unterstützt der Schweizer Finanzplatz eine Erderwärmung von vier bis sechs Grad.
Klimaforscher rechnen bei einem Temperaturanstieg von mehr als vier Grad mit weitgehenden Folgen: überschwemmte Küstenstädte, verheerende Dürren, zunehmende Wetterextreme.
Umschwenken noch möglich
Doch eine Kursänderung ist laut Experten noch möglich: «Ein Umstieg wäre ohne grössere Folgen in Bezug auf Risiko und Diversifikation möglich», sagt Oliver Oehri, einer der Studienautoren und Experte für nachhaltige Investments. Er rechnet insgesamt damit, dass allein mit einer Umschichtung innerhalb der Anlagen im Öl- und Gassektor zu «weniger schmutzigen Firmen» der CO2-Fussabdruck des Schweizer Finanzplatzes um 30 Prozent reduziert werden könnte.
In der Studie wurde auch berechnet, wie teuer die emissionsintensiven Investitionen den hiesigen Finanzplatz zu stehen kommen, wenn die Staaten ihre Klimaziele einst mit einer CO2-Steuer durchsetzen würden – was die Aktien der betroffenen Firmen massiv entwerten würde. Die Halter von Aktienfonds und die Pensionskassenmitglieder müssten demnach 6,75 Milliarden Franken einschiessen. «Im schlimmsten Szenario würde die Rendite beim Platzen der sogenannten Kohlenstoffblase womöglich um 40 Prozent einbrechen», sagt Oehri.
Einige wenige Schweizer Akteure haben die Problematik erkannt. «Indem wir Investitionen in Firmen abziehen, die für einen grossen CO2-Ausstoss verantwortlich sind, können wir einen Beitrag zum Klimaschutz leisten», sagt Benjamin Huber, Leiter Umweltmanagement der Axa Winterthur. Weltweit stösst der Versicherungskonzern darum Aktien und Anleihen von Unternehmen, die mehr als die Hälfte ihrer Erträge durch das Geschäft mit Kohle erwirtschaften, im Volumen von rund 500 Millionen Euro ab.
«Schweiz sollte als gutes Beispiel vorangehen»
In anderen Ländern reichen Freiwilligkeit und gute Absichten nicht mehr: Ab nächstem Jahr müssen in der EU börsenkotierte Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern den CO2-Fussabdruck ihrer Anlagen im Geschäftsbericht ausweisen. Zwar haben auch Schweizer Firmen eine ähnliche Initiative zur Offenlegung der CO2-Investments, den sogenannten Montreal Carbon Pledge, unterschrieben. Eine Verpflichtung, den Anteil emissionsintensiver Anlagen zu reduzieren, ist darin jedoch nicht festgehalten.
Diesen Umstand will die Bewegung Fossil Free Schweiz ändern. «Nur den Fussabdruck der Investitionen offenzulegen, reicht nicht», sagt Sprecherin und Geophysikerin Jessica Kind. Der Schweizer Finanzplatz müsse sich radikal umpositionieren – notfalls brauche es entsprechende Vorschriften vom Staat.
«Der Bund könnte bereits heute eine sanfte Steuer auf CO2-intensive Anlagen erlassen, damit die Finanzakteure wie Versicherungen und Pensionskassen diese abstossen», sagt Kind. Als einer der grössten Finanzplätze der Welt solle die Schweiz mit gutem Beispiel vorangehen.
Gibt es genug nachhaltige Investitionsmöglichkeiten?
Nachhaltigkeitsberater Oliver Oehri spricht sich dagegen für pragmatische Lösungen aus: «Wenn man nur noch in emissionsarme Unternehmen investieren dürfte, würden beispielsweise im Automobilsektor wohl nur noch Tesla-Aktien übrig bleiben.» Weil die Investoren dann aber wieder das Klumpenrisiko fürchteten, seien staatliche Vorschriften kein gangbarer Weg.
Jessica Kind hält dagegen: «Der Abzug von fossilen Investitionen würde den Weg frei machen für neue Zukunftsmärkte: Solar- und Windanlagen, Geothermie oder auch die biologische Landwirtschaft.»
Oehri plädiert für Transparenz und den freien Markt: «Mit neuen Möglichkeiten der Datenanalyse können wir heute in kürzester Zeit die CO2-Bilanz von Investitionen über die gesamte Geschäftstätigkeit bestimmen.» Falls Transparenzbestimmungen beschlossen würden, sei es jedoch wichtig, dass diese für alle Finanzgesellschaften verbindlich seien. «Dann können die Kunden entscheiden, ob sie ihr Geld dort noch anlegen wollen.»
So bestimmen Sie den ökologischen Fussabdruck ihres Geldes
Die Online-Plattform YourSRI.com berechnet den CO2-Fussabdruck von Finanzanlagen. Zurzeit ist dies nur für internationale Fonds und andere Finanzprodukte möglich. Ab Ende Jahr soll es zusätzlich möglich sein, den CO2-Fussabdruck für rund 80 Prozent des europäischen Fondsvolumens sowie eigene Investmentmandate kostenlos abzufragen.
Pensionskassen und Banken, die bereits emissionsintensive Anlagen meiden, sind laut Fossil Free Schweiz die Pensionskasse Nest und die Alternative Bank Schweiz.